
Die Treppen führen in den Himmel, so scheint es.
Aber nein, es sind nicht die Treppen eines Wolkenkratzers, wie viele wohl mutmaßen möchten. Nein, Sie führen aus der engen, heißen und an vielen Stellen ziemlich heruntergekommenen U-Bahn-Station. Canal Street. Der Name erinnert mich ein bisschen an Venedig. Eine Gemeinsamkeit gibt es tatsächlich, denn am Ende der Treppe angekommen erwartet einen in erster Linie eines: pures Chaos.

Es herrscht ein großes Gewusel aus Männern mit Aktentaschen, laut spanisch sprechenden Mexikanern, jungen Mädchen in Hot-Pants und einkaufswagenschiebenden Obdachlosen. Alle gehen ihrer Wege.

Die Gegend erscheint künstlich. Ein Designerladen trohnt hier neben dem anderen. Allerdings nicht in prachtvollen Villen oder Stadthäusern, sondern in alten, einladenden Häuschen. An der Front hängen Feuerleitern. Auf der Straße riecht es immer wieder nach einer beißenden Mischung aus Urin und Cannabis. Alle paar hundert Meter kommt einem eine Gruppe Asiaten entgegen – die meisten schießen Fotos oder haben ein Smartphone vor dem Gesicht.
Es ist nur allzugut vorstellbar, warum dies das bekannteste Künstlerviertel der Stadt ist. Hier hat Andy Warhol als Ikone der Popkultur gewirkt. Hier haben schon so viele Filmstars gelebt. Denn alles ist genau wie im Film – und doch so real. Willkommen in New York.

Einen Tag später. Selbe Zeit, anderer Ort. Über mir prangt ein Schild: Wall Street. Hohe, kalte Glasfronten und ausladende Bürobauten bestimmen das Straßenbild. Der Himmel ist heute vollständig von Wolken bedeckt. Ich passiere einen Trump-Tower, der eigentlich gar keiner ist, und einen Platz an dem nur ein kleines Schild an den ehemaligen Sklavenmarkt erinnert, auf welchem aus Afrika importierte Sklaven verkauft wurden. Kurz danach stehe ich am Wasser. Dort blicke ich auf den East River. Die Fähren legen an und ab. Ich sehe die so bekannte Brooklyn Bridge und genieße die Ruhe, auch wenn es hier nicht sehr gemütlich ist. Die Menschen mit Aktentaschen sind mir nicht über den Weg gelaufen. Wahrscheinlich, weil heute Sonntag ist. Ich begebe mich an der Wall Street, Ecke Pearl Street, in ein Café. „Only Cashless Payment“ steht hier überall geschrieben. Das bedeutet für mich: Zahlung nur mit Kreditkarte. Für viele in Deutschland ist das Zukunftsmusik, hier aber schon lange Realität. Selbst im kleinsten Kiosk, kann mit Kreditkarte oder per ApplePay (also Handy oder Armbanduhr) bezahlt werden.
Mit diesen zwei Eindrücken aus den Stadtteilen SoHo und Lower Manhattan möchte ich in meinen ersten Bericht aus New York einsteigen. Sie zeigen ein wenig von dem, was ich in meinen ersten zwei Wochen hier gesehen, gefühlt und erfahren habe. Ich bin seit 16 Tagen hier. Die fühlen sich jetzt schon an wie 16 Wochen. In meinem Viertel ist es zum Glück ganz anders als oben beschrieben.



Hier in Astoria hat man oft eher das Gefühl in einer amerikanischen Kleinstadt zu sein. Der Bezirk ist sehr ruhig und wird von einigen scherzhaft „Little Greece“ genannt wird, weil sich hier viele Griechen angesiedelt haben. Meine Wohnung ist sehr gemütlich und meine Mitbewohnerin super nett und herzlich. Von hier aus habe ich schon viele Erkundungstrips in die Stadt gestartet und mache mich jeden morgen um kurz nach 6 auf den Weg zur Arbeit. Dorthin fahre ich mit der New Yorker Subway rund 45 Minuten. Über die bisherigen Highlights meines Aufenthaltes gebe ich nun gern einen kurzen Überblick.
Ich arbeite in der Ständigen Vertretung Deutschlands bei den Vereinten Nationen (engl.: Permanent Mission of Germany to the UN). Wir haben unser eigenes Botschaftsgebäude, das am United Nations Plaza (also direkt neben dem der Vereinten Nationen) steht. Es ist wie ein eigener kleiner Wolkenkratzer. Die Arbeit hat sich in den ersten zwei Wochen sowohl was die Qualität als auch was die Intensität angeht aufgrund der anstehenden UN-Generalversammlung deutlich gesteigert. Wie ja inzwischen bekanntgegeben wurde, werden bei der Generalversammlung unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie Außenminister Heiko Maas, Gesundheitsminister Jens Spahn, Umweltministerin Svenja Schulze und Entwicklungsminister Gerd Müller zu Gast sein. Diese Besuche müssen angemessen vorbereitet und begleitet werden. Zusätzlich kommen viele Journalisten zur Berichterstattung nach New York. Auch die Mitgliedschaft Deutschlands im Sicherheitsrat versorgt uns gut mit Arbeit. Mir bleibt zu versichern, dass die Arbeit viel wieder zurückzahlt und sich die vielen Überstunden, die sich so ansammeln, wirklich lohnen.

Links das Gebäude des Generalsekretariats,
rechts das Gebäude der UN-Generalversammlung.
Die Vereinten Nationen haben ihr Headquarter auf einem großen Gelände direkt am East River. Hier finden sowohl die Sitzungen der UN-Generalversammlung als auch die des Sicherheitsrates und vieler weiterer Ausschüsse statt. Auch die Vewaltung ist hier in einem großen Bürogebäude mit 38 Stockwerken untergebracht. Auf diesem Gelände verbringe ich einen Großteil meiner Arbeitszeit. Die drei Hauptgebäude sind geprägt von den vielen verschiedenen Nationen, welche die internationale Organisation gegründet und ihr Hauptquartier errichtet haben. Dort sind immer wieder Kunstwerke der verschiedenen Länder zu sehen und dem Gelände ein ganz eigenes Flair verleihen. So stehen in der Eingangshalle der Generalversammlung zum Beispiel eine Statue von Nelson Mandela und ein echter Sputnik-Satellit. Am Freitagabend ist in der Lounge der Delegierten für Menschen mit Zugangsberechtigung immer eine After-Work-Party. Die Stimmung dort ist super, denn es ist ein ganz besonderes Gefühl den Blick auf Queens von dem Gelände der UN mit einem Bier oder Wein in der Hand genießen zu dürfen. Das Foto vermittelt das vielleicht ein Wenig.


Nun aber zu New York an sich. Das Empire State Building ist wohl das beeindruckenste und bekannteste Gebäude der Stadt. Es ist zurecht eines der New Yorker Wahrzeichen, denn es brach nach dem nur 18 Monate langen Bau im Jahre 1931 mehrere Rekorde. So war es über mehrere Jahrzehnte das höchste Gebäude New Yorks und einige Zeit auch der Welt. Derzeit rangiert es auf Platz 3 in New York, Platz 5 in den USA und 24 in der Welt. Da der Betreiber der Aussichtsplattform aber einen stolzen Eintrittspreis von rund 38 Dollar pro Person fordert, habe ich als armer Student zunächst damit gehadert den Turm zu besteigen. Nach einer Woche des Vergleichens, stellte ich aber fest, dass der Preis für Manhattan doch relativ normal ist. Schließlich beschloss ich hinaufzufahren. Mein Plan war die Aussicht zu genießen und ein paar Fotos vom Sonnenuntergang zu schießen. Das ging auch – trotz der 500 anderen Menschen, die sich dort oben aufhielten – ganz gut. Um es noch rechtzeitig zum Sonnenuntergang nach oben zu schaffen, huschte ich ziemlich in Eile durch das Museum hindurch. Dadurch war es mir letztlich nicht möglich alles anzusehen. Das Meiste davon halte ich aber so oder so für „Touristenbespaßung“ (z.B. die großen King-Kong-Hand-Attrappen aus Plastik, mit denen die Besucher Fotos machen können). Der Sprint durch das Museum und hinauf in die 86. Etage sollte sich aber gelohnt haben, wie ich mit den folgenden Bildern feststellen durfte.










An meinem ersten Tag in der Stadt besuchte ich gleich den Central Park. Ich hatte keine Vorstellung davon, wie schön es hier ist. Er ist (schon allein dank seiner Größe) mit keinem Stadtpark zu vergleichen, den ich bis jetzt gesehen habe. Für jeden, der noch nicht selbst in New York war: Man muss sich den Central Park wie einen eigenen Stadtteil im Herzen Manhattans vorstellen. Er ist durchzogen von kleinen Pfaden, breiten Schotterwegen und sogar richtigen Straßen. Die einzelnen Abschnitte und Teile des Parks haben eigene Namen, wie zum Beispiel „The Ramble“ (dt.: Der Streifzug) oder „The Great Lawn“ (dt.: Die große Wiese) oder „Sheep Meadow“ (dt.: Schafweide). Sie unterscheiden sich in ihrer Landschaft erheblich, sind aber alle sehr gepflegt. Jetzt gerade sitze ich auf einer Wiese oberhalb des „Umpire Rock“ (dt.: Schiedsrichterfelsen) und schaue Jugendlichen beim Baseballspielen zu. Überall sind Menschen mit Hunden unterwegs, Eichhörnchen tollen um mich herum, die Wolkenkratzer in der Umgebung des Parkes tauchen wie aus einem Dschungel im Himmel auf und überragen das Panorama. Ein Ort, den man am Liebsten nie verlassen möchte. Natürlich gibt es auch von Touristen und Einwohnern überflutete Teile des Parks, die ziemlich vermüllt erscheinen und nicht mehr wirklich gemütlich sind. Aber es ist durchaus möglich diese zu meiden – man muss sich nur trauen von den großen Wegen abzuweichen.





Der 11. September 2001 hat mit den Anschlägen auf das World Trade Center einen Großteil der westlichen Welt in Angst und Schrecken versetzt. Dennoch erschien mir persönlich dieses Grauen immer sehr weit entfernt. Umso surrealer war der Moment, als auf meiner Erkundungstour durch das New Yorker Stadtzentrum plötzlich vor mir das One World Trade Center auftauchte. Mir wurde mit einem Schaudern bewusst, dass eines der sehr einprägsamen Augenzeugenvideos nicht weit entfernt von mir gedreht worden sein musste. Was für ein schreckliches Gefühl es gewesen sein, so ein unendliches Leid mitansehen zu müssen, lässt sich heute nur noch erahnen.

Ich fahre eine Station mit der U-Bahn und stehe plötzlich vor diesem gewaltigen Monstrum von Hochhaus. Daneben: Zwei tiefe, weite Löcher, in die Wasser hinab fließt. Dies ist die Gedenkstätte für die Anschläge vom 11. September, das sogenannte 09/11-Memorial. Alle Namen der Opfer sind hier zu lesen. Am Geburtstag der Verstorbenen finden sich Rosen an ihren Namen auf der Brüstung über den Wasserfällen. Ein tolles Zeichen des Erinnerns!

Dass hier mal zwei Türme standen – vorstellbar. Dass diese innerhalb eines Tages kollabiert sind, ganz Lower Manhattan in Aschewolken getaucht und viele tausend Menschen in den Tod gerissen haben – das erscheint schier unmöglich. Während ich daneben stehe wirken diese monumentalen Gebäude unzerstörbar. Sie wirken wie eine große, beständige Basis, die den wuseligen Alltag der Großstadt umgibt. Die Gedenkstätte macht den Fakt, dass das bloß subjektives Gefühl ist, erfahrbar. Neben der Gedenkstätte existiert auch ein Museum, das ich noch nicht besucht habe, aber auf jeden Fall noch besuchen werde.

Genauso unbeschreiblich, wie der Anschlag, der hier stattgefunden hat, ist aber auch der Wiederaufbau, der immer noch nicht abgeschlossen ist. Kurz und knapp zusammengefasst: Das gesamte World Trade Center mit seinen 7 Gebäuden wird wieder aufgebaut – nur noch größer, noch überdimensionaler als es vor den Anschlägen schon war. Das Memorial, die Gebäude „World Trade Center 1, 3, 4 und 7“ und die dazugehörige U-Bahn-Station waren nur die ersten Schritte. Weitere Gebäude sind geplant. Diese „Jetzt-erst-Recht-Attitüde“, die sich die New Yorker hier in den Kopf gesetzt haben, ist wirklich bewundernswert.

Schon lange war es ein Traum von mir einmal am Broadway ein Musical oder Theaterstück zu besuchen. Am Dienstag habe ich mich beim “Broadway Roulette” registriert. Dort werden jeden Tag Resttickets einer Broadwayshow für einen Festpreis verlost. Ich habe ein Ticket für das Theaterstück „Sea Wall / A Life“ gewonnen, das mit den Hollywoodschauspielern Jake Gyllenhaal und Tom Sturridge prominent besetzt war. Zusätzlich zum netten Nebeneffekt, dass ich rund 40 Dollar gespart habe, war das Stück genial inszeniert. „Sea Wall/A Life“ ist eine Achterbahnfahrt aus Momenten des Glücks und der Trauer. Zwei junge Männer erfahren, dass sie Väter werden. Dabei werden sie auf sehr unterschiedliche Weise aus der Bahn geworfen. Das schildern sie in zwei packenden, sehr emotionalen, tiefgehenden und authentischen Monologen. Der Ausdruck mit dem die Schauspieler ihre Rollen vermitteln ist sehr stark. In Deutschland habe ich eine vergleichbare Leistung bisher lediglich beim Theaterstück „Zorn“ von Rufus Beck gesehen.








Um meine letzte Hausarbeit für die Uni fertigzustellen, besuchte ich für einen Tag auch die New York Public Library. Diese alte, wunderschöne und riesige Bibliothek wurde von 1897 bis 1911 gebaut. Sie ist eine der größten Bibliotheken der Welt und zum Arbeiten wohl der Traum eines jeden Studenten. Auch für viele Filme wurde sie als Kulisse genutzt. Sie liegt mitten in Manhattan am sogenannten Bryant Park. Für mich war es definitiv nicht das letzte Mal hier.

Auf einer New York-Entdeckungstour dürfen natürlich auch die Orte nicht fehlen, die junge Europäer als erstes mit der Stadt verbinden. Dazu zählen unter anderem das Haus aus der Serie „Friends“ und die Gegend in der die Serie “How I Met Your Mother“ spielt. Gerade Letztere ist für mich eine der Schönsten in Manhattan, direkt am Broadway gelegen, aber mit wunderschönen, alten Stadthäusern.

Auch ansonsten hat Manhattan viel zu bieten. So sind zum Beispiel der Bezirk Seaport, der Chealsea Market und Chinatown sehr beeindruckend. Seaport ist der ehemalige Seehafen der Stadt, in dem noch viele alte Häuser aus dem 18. Jahrhundert existieren. Der Chelsea Market ist eine ehemalige Keksfabrik, aus der unter anderem der Oreo-Keks stammt. Heute ist er das kulinarische Zentrum New Yorks, in dem sich viele extravagante Restaurants und Künstler angesiedelt haben. Chinatown wird immer größer und ist praktisch eine kleine Exklave Chinas in den USA.








Ebenfalls ein Wahrzeichen der Stadt.


Am Freitag war hatte ich durch die Arbeit sogar kurz die Gelegenheit bei der Friday for Future-Demonstration mit Greta Thunberg vorbeizuschauen. Sie startete am Foley Square und zog dann in Richtung des Battery Park. Dort waren so viele Menschen unterwegs, dass kaum ein Durchkommen möglich war. Die Medien berichteten von mehr als 250 000 Menschen. Ich habe schon viele Demonstrationen gesehen, aber diese war anders. Es hat mich sehr beeindruckt, wie viele junge Menschen Gretas Aufruf gefolgt sind und für die eigene Zukunft einstanden. Es lag deutlich spürbar in der Luft, dass dort zu diesem Zeitpunkt ein Stück Geschichte geschrieben wurde – ähnlich wie bei der 68er-Bewegung in Deutschland. Am Abend wurde – passend zum Climate Summit – eine Rede Gretas an das UN-Gebäude gestrahlt. Ein 16 Jahre altes und zuvor unbekannte Mädchen hat in kurzer Zeit etwas sehr Großes bewirkt. So groß, dass sie es auf die Agenda der führenden Politiker dieser Welt geschafft hat. Das ist meines Erachtens nach etwas, dass in jedem Demokraten das Vertrauen und die Zuversicht in unser System stärken und dazu ermutigen sollte, sich selbst einzubringen und zu Handeln.

Mir persönlich bietet sich dazu vielleicht im November die Chance. Auf Empfehlung des DAAD werde ich vom 01. bis 03. November an der German American Conference teilnehmen. Diese wird an der Havard University in Boston stattfinden. Dort wird es verschiedene Panels zu vielfältigen Themen wie beispielsweise der transatlantischen Sicherheitspolitik, dem Brexit, Frauen in Führungspositionen, der Klimakrise oder Krebsforschung geben. Ich bin sehr gespannt was mich erwartet und freue mich Teil dessen sein und mitdiskutieren zu dürfen.
Ich könnte selbstverständlich noch viel, viel mehr aus meinen ersten zwei Wochen hier erzählen. Ich hoffe aber, dass diese Eindrücke erst einmal genug zeigen und eine Vorstellung vom Leben hier vermitteln können – sodass ihr ein wenig Anteil an meiner spannenden und sehr prägenden Zeit hier haben könnt.
Herzliche Grüße,
Leander


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